Mittwoch, 15. Juli 2015

Wie im Wahn!

Anders als meine vorherigen Posts, handelt dieser nicht von meiner Magersucht, sondern von dem Leben mit Bulimie. Ich weiß nicht ob euch das interessiert, aber ich denke es ist auch wichtig diese Thematik anzusprechen. 
Die Frage wie meine Bulimie anfing kann ich euch leider kaum erklären, denn für mich war die Bulimie immer eine Art Schadensbegrenzung. Aß ich zu viel, musste ich das gegessene loswerden. Egal wie. Egal wo. Irgendwann nahm das ganze schlimme Ausmaße an und es wurde immer schlimmer. Ich bekam unendlich viele Fressanfälle. Die Mengen waren enorm. Ich hätte nie gedacht, das all das Essen in meinen kleinen Magen passen könnte. Ich aß und aß und aß. Alles was ich finden konnte. Für mich fühlte es sich so an, als würde ich meine Eltern beklauen, aber man ist wie im Wahn. In meinen Kopf existierte nur noch "ESSEN. ESSEN. ESSEN. MEHR ESSEN. MUSS ESSBARES AUFFINDEN. ICH BRAUCH DAS JETZT." Ich aß teilweise alles was unser Kühlschrank und unsere Speisekammer hergab. Ich ging für meine Fressanfälle einkaufen und gab Unmengen von Geld aus. Unmengen ist vermutlich untertrieben. 


Das schlimme war diese Sucht. Hab ich mit Essen begonnen, legte sich ein Schalter in meinem Kopf um und ich brauchte sofort mehr. Normal gab es nicht mehr. Jeden Tag begann das Spiel erneut. ich bin aufgewacht und hatte diese laute Stimme in mir, welche nach fettigen, süße Essen rief. Mein erstes Ziel war die Küche und die Brötchen, welche auf dem Küchentisch standen. Ich klatschte Butter drauf, obwohl ich nichtmal Butter esse und eine fette Schicht Nutella und oben drauf noch Käse. Ich ekelte mich regelrecht vor mir selbst. Wer hat dieses Monster in mir erschaffen? War ich das selbst? Ich, die immer kontrolliert und vorsichtig lebte? Bedacht auf das Essen und die Kalorien achtete? Ja, ich war es. Mein Körper rebellierte. Die strenge Diät konnte er nicht mehr standhalten- und ich auch nicht.  Aber genau das wollte ich nie wahrhaben. Ich hab doch alles richtig gemacht? Ich hatte doch die Kontrolle und wollte vor allem nur die Kontrolle über etwas, was nur mir gehörte- Mein Körper. Aber genau diese Kontrolle wurde mir durch die Bulimie genommen. Ich fraß wie ein Schwein und kotzte danach alles aus. Ich ekelte mich vor mir selbst. Was ist nur aus mir geworden? 



Die Wahrheit ist, das war nur der Anfang. Es konnte noch so viel schlimmer werden.. Hätte ich das nur eher gewusst und daher schreibe ich das jetzt und möchte euch warnen! 

Anfangs war es nur einmal pro Woche, schnell wurden es zwei Mal, dann drei Mal. Damit konnte ich irgendwie noch leben. Aber wo bin ich nach ein paar Monaten gelandet? Ich erbrach jeden Tag. Nicht nur einmal. Nein, bestimmt sieben mal. Ich erbrach alles. Alles, egal ob es viel oder wenig war. ich konnte nicht anders. Die Sucht hat mich so sehr gepackt, das es für mich die einzige Lösung war. Ich ekelte mich immer mehr vor mir. Während des Essens hab ich mich geekelt, während ich vor dem Klo hockte noch viel mehr. Die Überwindung mir den Finger in den Hals zu stecken, löste noch einen größeren Ekel aus. Ich bestand nur noch aus Ekel und Scham vor mir selbst und der Tat und dem Fehler, welchen ich immer wieder begann. 


Aber auch das ist noch nicht die Realität. Nein, der Kontrollverlust ist längst nicht alles. Man wird hemmungslos. Aggressiv. Wütend. Erbarmungslos. Scheu gibt es längst nicht mehr. Nach dem Essen befindet man sich wie im Wahn! Man muss das Essen loswerden. Ich erinnere mich an die Zeiten, wo ich in meinem Zimmer lag. Mich nicht mehr bewegen konnte vor Schmerz und Herzrasen. Es war wieder einmal zu viel. Zu viel für mich und meinen schwachen und dehydrierten Körper. Aber die größte Qual war noch nicht vollzogen. Das Erbrechen. Ich schloss mich in meinem Zimmer ein und erbrach in meinen Mülleimer, welchen ich mit einer Mülltüte präparierte. Danach war ich fertig. Nervlich und körperlich. Ihr fragt euch, ob ich keine Angst hatte, das es jemand hörte? Nein, hatte ich nie. Denn ich bin ein Monster und mir war alles egal, Hauptsache ich konnte meinen Magen leeren und mich von den Schmerzen befreien. Welche in Wirklichkeit danach noch viel schlimmer wurden. Denn ich bekam solche Magenschmerzen und Krämpfe, welche mir eigentlich die Augen öffnen sollten. Ich spürte immer wieder die Magensäure, welche sich selbstständig einen Weg nach oben suchte. Nein, mir ging es nicht gut. Gar nicht gut. Nur der Schein trügte. Ihr fragt euch ob meine Eltern nichts mitbekamen? Doch, das bekamen sie. Sie hörten alles. Meine Mutti kam mir mit tränenüberströmten Gesicht entgegen und flehte mich an damit aufzuhören. Mein Herz brach innerlich in tausende Splitter. Mama, es tut mir so leid, aber ich kann nicht anders. Mama, es tut mir leid, dass du das alles hören musstest. Mama, es tut mir leid, das ich dich damit so verletzt habe. Mama, es tut mir leid, das ich dich ständig anlügen musste. Mama, es tut mir so leid, das du immer die Spritzer am Klo oder die vollen Tüten in meinem Zimmer gefunden hast. Mama, es tut mir leid, das ich deine Sorge nicht verstehen wollte. Mama, es tut mir leid, das ich dir immer leere Versprechen geben musste. Mama, mir tut einfach alles so unendlich leid. Vergesst nie, eure Eltern Lieben euch und wollen nur das beste. Lügt nicht, sondern sprecht die Wahrheit und nehmt die Hilfe an. Sie meinen das doch nicht böse. 



Ich ließ meine Eltern in dem Glauben, das alles besser wurde. Aber die Wahrheit? In Wahrheit erbrach ich weiter. Heimlich. Wenn niemand zu Hause war. Ihr fragt euch, wie ich das kontrollieren konnte, meine Fressanfälle? Konnte ich nicht. Ich fraß auch abends oder am Wochenende wenn beide zu Hause waren. Ich versuchte sie regelmäßig aus dem Haus zu locken. Ich musste meine Aggressionen verstecken, damit ich sie nicht anschrie, das sie sich endlich verpissen sollen und mich in Ruhe kotzen lassen sollen. Manchmal klappte es, manchmal nicht. Ich musste neue und bessere Wege finden. Und diese fand ich auch. Man lernt immer neue Tricks und Möglichkeiten um die Sucht aufleben zu lassen. Ich fraß unverholfen weiter und ging dann 'spazieren' oder 'Fahrrad fahren' oder 'mich mit Freunden treffen'. Aber in Wahrheit suchte ich eine Stelle wo ich mich entledigen kann. Es ist wie im Wahn. Mich interessierte nichts mehr. Gar nichts. Ich könnte euch jetzt 1000 Stellen aufzählen, wo ich hingekotzt habe. In den Wald, auf Felder, in öffentliche Toiletten, in Züge, mitten auf den Weg, in die Schule, in Mülltonnen und und und. Ob mich jemand dabei sah? Egal, ich war wie im Wahn. Nichts ist mehr wichtig. Gar nichts. Hauptsache ich fühlte mich leer. 



Leute, lasst euch das eine Lehre sein. Die Sucht ist unendlich. Einmal angefangen und man greift immer wieder darauf zurück. Denkt bitte an die Menschen, die euch lieben. Eure Eltern. Eure Freunde. Eure Großeltern. Wollt ihr Ihnen das wirklich antun? Ihr habt die Entscheidung in der Hand. Nur ihr allein, aber ich kann euch nur ans Herz legen, kümmert euch, bevor es diese extremen Ausmaße annimmt.. Hilfe ist nichts schlimmes. Nein, es kann euch das Leben retten. Macht euch nicht kaputt, es wird nie besser, wenn ihr nichts ändern wollt, dann denkt bitte über meine Worte nach. Das Leben ist nie einfach. Aber es ist eure Entscheidung, was ihr daraus macht. Nehmt die Bulimie nicht auf die einfache Schulter. Es wird Ausmaße annehmen, welche ihr jetzt noch nicht erkennt. 

Die Folgen sind so schlimm. Herzrhythmusstörungen, Kaliummangel, Dehydrierung, kaputte Zähne, Krebs, offene Stellen im Rachenraum oder das einreisen der magenwand. Ihr schwebt bei jedem Fressanfall und Erbrechen zwischen Leben und tot. Was wollt ihr wirklich? Ich schätze Leben. 

8 Kommentare:

  1. ich bin immer wieder erstaunt darüber, wo du die ganze energie für solche grandiosen einträge hernimmst.. das sollten mehr leute lesen.. anna..

    AntwortenLöschen
  2. Wow richtig gut geschrieben ! Ich hoffe das öffnet einigen die Augen . Mach weiter so .��

    AntwortenLöschen
  3. das ist so unglaublich... intensiv. das beschreibt es ganz gut denke ich. du drückst so viel aus in deinen worten. und es ist mutig, die schonungslose wahrheit zu schreiben. ich bin noch ein bisschen sprachlos, ich habe mich nie sehr viel mit bulimie befasst, in hungerzeiten habe ich zwar mal ab und zu gekotzt, ich kenne auch einige die an bulimie leiden, aber.. naja, so genau hab ich das noch nie gesehen. das ist so intensiv grade.
    danke für den text.

    AntwortenLöschen
  4. Ich liebe deine Blogeinträge! Du kannst so wahnsinnig gut schreiben. An der Stelle mit deiner Mama kamen mir die Tränen.. mir ist klar geworden, was ich meinen Eltern antue... dank dir hab ich wieder ein Stückchen mehr Kraft getankt, daran zu arbeiten, mich & mein Essverhalten ins Positive zu ändern.
    Danke, für diesen wundervollen Blogeintrag. Danke. Danke, wirklich.
    Bitte gib dich niemals auf, niemals! Hier sind so viele Menschlein, die hinter dir stehen, die an dich glauben, die dir alles alles alles Gute der Welt wünschen. Bleib so wie du bist, du bist toll.

    AntwortenLöschen
  5. Du hast dich mal wieder selbst übertroffen Anna . Ich hoffe du schreibst bald mal wieder einen Eintrag .

    AntwortenLöschen
  6. Der Text hat mich zu Tränen gerührt . Ich hoffe es öffnet einigen die Augen . Ich wünsch dir ganz viel Kraft .

    AntwortenLöschen
  7. Dein Blog ist einfach nur wow. Ich wünsche dir weiterhin viel kraft und hoffe das viele menschen diesen blog lesen und daraus lernen!

    AntwortenLöschen
  8. Deine Worte haben mich sehr berührt. Danke dafür.

    Liebe Grüße<3
    https://wegausmeinermagersucht.blogspot.de/

    AntwortenLöschen